The Zone of Interest

written by malu winter

Die Banalität des Bösen. Selten habe ich einen Begriff so oft in Reviews zu einem Film gelesen. Lustig, denn auch ich habe mich offenkundig dazu entschieden, ihn zu verwenden. Der Begriff wurde übrigens erstmals von Hannah Arendt geprägt, einer jüdisch-deutschen US-amerikanischen politischen Theoretikerin. Ihr Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen schrieb sie 1961 anlässlich des Prozesses gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der in Jerusalem geführt wurde. Ich habe das Buch nicht gelesen, kann ich aber trotzdem erahnen, warum dieser Begriff beinahe inflationär verwendet wird, um zu beschreiben, wovon wir in The Zone of Interest Zeug*innen werden.


Denn es fällt schwer, die Handlung dieses Films zusammenzufassen. Oder zumindest fällt es mir schwer. Eigentlich passiert nämlich nichts. Oder zumindest nicht viel. Wir alle haben bei Begrifflichkeiten wie „Holocaust-Film“ ganz klare Bilder im Kopf. Bilder aus dem Schulunterricht oder von Filmen wie Schindlers Liste oder Der Junge im gestreiften Pyjama. The Zone of Interest bricht jedoch nicht nur mit eben dieser Erwartungshaltung, sondern auch mit unseren Sehgewohnheiten im Allgemeinen. Ich habe mir den Film ohne jegliches Vorwissen angesehen. Ich war mir nicht einmal darüber im Klaren, dass der Film in der Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt, geschweige denn, dass er die Shoah thematisiert. Mein einziges, nennen wir es mal ganz vorsichtig „Vorwissen“, war, dass ich bereits einige Filme von Jonathan Glazer gesehen hatte und wusste, dass der Film doch etwas für Furore gesorgt hat. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich mich freute, als ich erfuhr, dass er uns mit einem neuen Film beglücken würde. Dementsprechend war die erste Sichtung aber auch ein ziemlich harter Schlag in die Magengrube.


Aber worum geht es denn nun eigentlich? Der Film zeigt das alltägliche Leben der Familie Höss, das langweiliger und alltäglicher nicht sein könnte. Rudolf Höss (gespielt von Christian Friedel) ist ein hochrangiger Nationalsozialist, SS-Obersturmbannführer und Kommandant des KZ Auschwitz. Seine Frau Hedwig Höss (Sandra Hüller), die sich selbst gerne „die Königin von Auschwitz“ nennt, sorgt sich – wie es sich für eine deutsche Vorzeigefamilie gehört – mehr oder weniger geduldig um die fünf Kinder, den Hund, ihren Garten und scheucht nebenbei die Hausangestellten herum, die sie auch schon mal anfaucht. Damit ist der Film im Groben eigentlich auch schon zusammengefasst. Jonathan Glazer versucht gar nicht erst, uns eine emotional aufgeladene Story vorzusetzen oder ein trauriges Schicksal, wie es sie millionenfach gegeben hat, als emotionalen Ankerpunkt an die Hand zu geben. Wie auch in seinen vorherigen Filmen ist er bereit, etwas zu wagen. Er ist bereit, sich voll und ganz auf die Banalität des Bösen zu verlassen.


Ich habe bereits erwähnt, dass ich mich nach der ersten Sichtung des Films in etwa so gefühlt habe, als wäre ich gerade zwei Stunden lang aufs Übelste verprügelt worden. Selten hatte ich bei einem Film so oft und so stark das Bedürfnis, wegzusehen – den Fernseher einfach auszuschalten, mich abzuwenden und etwas anderem nachzugehen. Mich nicht mit dem Gezeigten oder eben gerade nicht Gezeigten auseinandersetzen zu müssen. Und doch war ich derartig investiert, dass ich einfach weiterschauen musste. Der Film erspart uns als Zuschauer*innen schlimme Bilder. Vielmehr fühlt es sich an, als würden gerade zwei Filme parallel laufen: Der eine, der erste, auf der Bildebene: verspielt, mit schönen Farben, Natur, einer glücklichen Familie. Der andere, der zweite, auf der Tonebene: Fabrikgeräusche, Hundegebell, das unaufhörliche Rattern von Maschinen, Schreie, gebrüllte Befehle, gefolgt von Schüssen. Diese stetige, unaufhörliche Kakofonie an Geräuschen verwehrt einem jede Möglichkeit einer Verschnaufpause, was bei mir am Ende des Films zu einem Gefühl der Erschöpfung geführt hat. Genau dort liegt für mich aber die Genialität seiner Inszenierung. Der Film entscheidet sich bewusst dafür, Leerstellen zu lassen, Dinge auszusparen, wegzulassen. Durch dieses Weglassen werden eben diese diese Leerstellen unweigerlich durch die eigene, finstere Vorstellungskraft, ausgefüllt und zwar mit Bilder einer Grausamkeit zu der kein Film in der Lage ist uns zu präsentieren.


Die Banalität des Bösen. So offenkundig dieser Vergleich auch ist, hege ich Zweifel daran, ob es Jonathan Glazer wirklich darum ging. Ich persönlich verstehe den Film eher als Kommentar oder Metapher. Eine Metapher für die heutige Zeit. Ein Kommentar zu unserer Gesellschaft. Es ist mir an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass ich damit in keiner Weise die Shoah bagatellisieren, ihr irgendeine Bedeutung absprechen oder sie relativieren möchte. Sollte ich dies dennoch tun, möchte ich mich dafür entschuldigen und bin gerne bereit, aufgeklärt zu werden. Jonathan Glazer hält uns mit seinem Film gnadenlos einen Spiegel vor. Einen Spiegel, der uns dazu anregen soll, uns selbst und unsere Rolle in den aktuellen Weltgeschehnissen zu hinterfragen. Gerne schauen wir auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück und fragen uns, wie es möglich war, dass so viele Menschen einfach weggeschaut haben. Wir fragen uns, wie so viele Menschen so tun konnten, als wäre alles in bester Ordnung. Machen wir heutzutage nicht exakt dasselbe? Sind wir am Ende des Tages nicht genauso Mittäter*innen wie die Familie Höss es war? Wie der Grossteil der deutschen Bevölkerung damals? Denn wir alle leben in einer Welt, in der tagtäglich so viel Leid, Schrecken und Gräueltaten geschehen. Durch das Internet sind wir in der Lage, fast in Echtzeit an all diesen Geschehnissen, Kriegen und dem Unrecht teilzuhaben. Es geschieht also praktisch direkt vor unserer Haustür. In bester Hör- und Sichtweite also. Einzig und Allein davon abgetrennt durch eine massive Betonmauer. Und dennoch entscheiden wir uns nur allzu oft für den schönen Kindergeburtstag mit lachenden Kindern in unserem Garten. Wir entscheiden uns, wegzusehen, obwohl uns die Betonmauer ständig daran erinnert, was hinter ihr eigentlich gerade passiert. Wir entscheiden uns dafür, uns nicht damit auseinanderzusetzen. Wir entscheiden uns dafür, unser Leben weiter zu leben. Wir entscheiden uns für die Banalität des Bösen. Der Begriff ist also vermutlich doch passender, als anfangs gedacht, aber eben auf eine andere Art und Weise, als es die meisten Menschen rezipieren.