
Bereits von einiger Zeit bin ich per Zufall über diesen Film gestolpert, habe ihn mir aber nicht angeschaut, weil ich kein grosser Fan von Musik Bio-Pics bin. Kneecap war mir aber bereits ein Begriff, nicht durch ihre Musik, die war mir nämlich gänzlich unbekannt sondern vielmehr durch ihr Lautes auftretten im Bezug auf den in Palästina stattfindenden Genozid. So Biss ich also in diese Saure Zitrone und gab dem ganzen eine Chance und ich will nicht hinter dem Zaun halten und sagen: ich wurde positiv überrascht.
Betrachtet man den Film an der Oberfläche oder als aus den Augen der Filmkritik handlet es sich dabei sicherlich um kein allzu grosses Meisterwerk. Vielmehr würde ich sagen, dass der Film solider Durchschnitt ist. Wie immer bei Bio-Pics steht die Karriere, das Leben und die Musik von Kneecap im Vordergrund. Wir erhalten einen Einblick in das Leben des Rap-Trios, über deren Kennenlernen, wir erfahren etwas über die komplizierte Beziehung zum Vater von einer der drei Personen und können mitverfolgen, wie sie immer mehr an Bekanntheit gewinnen mit den klassischen Auf und Ab’s die eben zu einem solchen Film dazugehören. Ich denke aber, dass diese Betrachtungsweise dem Film nicht ganz gerecht wird, ist Kneecap doch so viel mehr als bloss eine Musikgruppe. Der Film beginnt damit, dass das Voice-Over findet, dass dieser Film nicht wie jeder X-beliebe andere Film über (Nord-)Irland mit Aufnahmen aus dem Bürgerkrieg beginnen soll. Natürlich lässt sich nicht negieren, dass die Geschichte von Kneecap fest mit diesem Konflikt verwurzelt ist und der Konflikt daher essenziell für ihren Werdegang und ihre Bedeutung für die Irische Jugend ist. Aber Kneecap darauf herunterzubrechen würde ihnen absolut nicht gerecht werden.
Anstelle von Archivaufnahmen von explodierenden Autos während der Hochzeiten der IRA erhalten wir einen Einblick in die Kindheit von Móglaí Bap (gespielt von Naoise Ó Cairealláin). Wir erfahren, dass sein Vater (Michael Fassbender) eine Schlüsselfigur in Unabhängigkeitskampf gewesen war, mittlerweile als Tod gilt und dennoch weiterhin von der britischen Regierung gesucht wird. Arló war aber trotz seiner Abwesenheit auch im Leben von Naoise eine Schlüsselfigur. Der Film springt einige Jahre in die Zukunft und wir sehen die beiden jungen Herren wie an einer Party diverse Substanzen konsumieren und als die Polizei aufkreuzt vor dieser fliehen müssen. Während Naoise die Flucht gelingt, hat Mo Chara (Liam Óg Ó hAnnaidh) weniger Glück und landet auf der Polizeistation, wo er das dritte Bandmitglied kennenlernt. Zu diesem Zeitpunkt wissen beide Beteiligten aber noch nichts von ihrer zukünftigen Zusammenarbeit. Denn DJ Próvai ist zu diesem Zeitpunkt von durch und durch gefangen in seinem gutbürgerlichen Leben als Musiklehrer an der örtlichen Schule. Man mag sich nun Fragen, warum ein Musiklehrer bei einem Polizeiverhör gegenwärtig ist. Ganz einfach. Er fungiert als Übersetzer. Denn Mo Chara weigert sich mit den liebevoll als «peelers» bezeichneten Bullen auf Englisch zu unterhalten. Schnell wird klar, dass dieser unscheinbar wirkende Typ und Mo Chara mehr gemein haben, als man zu Beginn vermuten würde. Sie beide eint die Liebe für die Irische Sprache und ihre Abneigung gegenüber den Briten. Und natürlich auch ihre Liebe für einen guten Rausch. Wie es das Schicksal also so will, begegnen sich die beiden wieder und beginnen gemeinsam Musik zu machen. Aber nicht auf Englisch, sondern in ihrer Muttersprache: irisch oder auch gallisch, was den Briten natürlich so ganz und gar nicht in den Kram passt. Was von hier an folgt ist dann aber doch klassisches Bio-Pic Kino. Wie bereits angedeutet, gibt es ein paar Auf und Ab’s, ein paar Auseinandersetzungen mit verfeindeten Gruppierungen, welche ihren Erfolg verhindern wollen und Konzert-Montagen, um ihren Aufstieg zu symbolisieren. Abgerundet wird all das von einer Liebesgeschichte. Man kennt das alles und doch hat es mich nicht gelangweilt, denn der Film hat ein grossartiges Pacing und der Humor hat für mich gut funktioniert. Jetzt wo wir den Pflichtteil hinter uns haben, kommen wir zum spannenden Abschnitt: der politischen Message.
Wie ich bereits zu Beginn gesagt habe, war mir Kneecap weniger wegen ihrer (zugegebenermassen tollen) Musik und mehr wegen ihrem politischen Engagement ein Begriff. Sie gehören zu den wenigen Personen aus dem öffentlichen Leben, welche sich seit jeher auf diverse Art und Weise für Palästina aussprechen und Israel sowie deren Genozid verurteilen. Nach diesem Film habe ich nun auch eine starke Vermutung weshalb dem so ist. Alle drei Personen, welche gemeinsam Kneecap darstellen sind in einem Land aufgewachsen, welches kolonialisiert und unterdrückt wurde. Sie wuchsen in einer Zeit auf geprägt war von (bewaffnetem) Widerstand. Sie haben hautnah miterlebt, wie Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Sprache unterdrückt worden sind. Obwohl sie sie weisse Europäer sind, haben die hässliche Seite des Imperialismus und Kolonialismus kennengelernt. Vermutlich ist der Schritt sich mit anderen unterdrückten Menschen, wie beispielsweise den Palästinenser*innen, zu solidarisieren im Folgeschluss naheliegender als es beispielsweise für Schweizer*innen oder Deutsche ist. Ich bin keine Geschichtsexpert*in geschweige denn sonderlich bewandert bezüglich des irischen Bürgerkrieges und möchte daher an dieser Stelle gar nicht allzu sehr ins Detail gehen. Was ich aber sagen kann und möchte, ist dass die Unterdrückung welche die irische Bevölkerung durch England erlebt hat, der Widerstand welche unter anderem durch die IRA gelebt worden ist und die Lebensrealität die sich durch diese Umstände ergibt, sicherlich irgendwie aktuellen Konfliktsituationen wie beispielsweise der im Gazastreifen verglichen werden kann.
Während der Findungsphase, welche der Film portraitiert finden überall in Irland grosse Proteste statt. Die Menschen fordern, dass ihre Sprache endlich offiziell anerkannt wird. Nun kann man sich fragen, warum das für diese Menschen so wichtig ist. Es ist doch nur eine Sprache, aber Sprache ist mehr als nur die Worte mit denen wir kommunizieren. Unsere Sprache ist ein elementarer Bestandteil unserer Kultur, unserer Persönlichkeit, unserer Geschichte und unserer Identität. Das nicht anerkennen oder sogar verbieten einer Sprache ist mit dem Verbieten einer Gruppe von Menschen gleichzusetzen. Es ist das Negieren einer Lebensrealität. Es ist der Versuch, einer Kultur mit all ihrer Traditionen und Werten auszulöschen und eine neue Identität überzustülpen. Eine Taktik, welche wir vor allem aus der zweit der grossen Kolonialisierung durch Westeuropa kennen. Weisse Menschen haben die Welt bereist, andere Völker angetroffen, diese als nieder und unzivilisiert abgetan, diese Unterdrückt, ausgebeuetet und sie ihrer Sprache beraupt und so ihre kulturelle Identität zerstört. Wer sich nicht daran gehalten hat wurde bestraft oder getöet. Ganz einfach. In einer Gesellschaft von Gesetz und Ordnung und voller Einigekeit und ohne jeglicher Abweichungen müssen sämtliche Störfaktoren bereits im Keim erstickt werden. Um dies aber überhaupt mitzubekommen muss sichergestellt werden, dass die Unterdrücker die Unterdrückten auch verstehen und sich diese nicht hinter ihrem Rücken in ihrer Muttersprache gegen sie verbünden: was liegt also näher als die Sprache einfach zu verbieten und jedem der es wagt, sich nicht an dieses Verbot zu halten, mit Repression zu überschütten. Beispielsweise durch das gezielte “Zerschiessen” von Kniescheiben, dem sogenannten kneecapping, wie man es mit den Aktivist*innen der IRA zu pflegen übte.
Das Menschen sich aber nicht so leicht einschränken resp. Unterdrücken lässt sich immer wieder beobachten. Überall auf der Welt haben Menschen sich entweder schlicht und einfach geweigert, sich ihre Sprache verbieten zu lassen. Und in Fällen, in denen dies nicht möglich war, neue Wege gesucht wehrhaft zu bleiben. Beispielsweise durch die Anwendung neuer Sprachen oder Abwandlungen von Sprachen, wie beispielsweise in den sogennenanten Banlieus von Frankreich. Den Menschen dort wurde verboten ihre Muttersprachen zu sprechen und sie wurden gezwungen französisch zu sprechen. Man hielt sich daran, jedoch mit einem entscheidenen Kniff. So ist der “Verlan-Slang” entstanden. Es handelt sich dabei grundsätzlich noch immer um französisch, was nicht heisst, dass jede Person die französisch spricht, Verlan versteht. Im Verlan-Slang werden nähmlich die Silben der Worte vertauscht. So wird dann beispielsweise aus femme (Frau) “meuf” oder aus bonjour (guten Morgen) “jourbon” oder auf fou (verrückt) “ouf” (auch der grossartige Film “L’amour ouf” bedient sich dem Verlan-Slang und kreiirt dadurch ein tolles Wortspiel). Der Verlan-Slang ist ein tolles Beispiel für einen solchen Wiederstand. Den die Menschen sprechen ja franzöisch, so wie es ihnen befohlen wurde. Dafür dass die Bullen und die Obrigkeit sie gleichwohl nicht verstehen können, trifft sie ja wohl keine Schuld. Ein mir sehr nahestehendes Beispiel kommt aus Bern und heisst “Matte-Änglisch”. Eine lustige Mischung aus dem schweizer Dialekt “Bärndütsch” und Englisch. Wie es der Name schon vermueten lässt, hat diese Sprache ihren Ursprung im “Matte” Quartier in Bern. Die Matte war früher das Quartier der Arbeiter*innen. Das lässt sich schon alleine daran erkennen wo das Quartier ist. Ausserhalb der Stadtmauern. Unterhalb der Stadt. Dort wo das ganze Abwasser hinfliesst. Dort wo keine Sonne hinscheint. Direkt neben dem Fluss. Dort wo die Chance für ein tödliches Hochwasser am grössten ist. Wenn man in der Matte ist und nach oben blickt, sieht man die wunderschöne Berner Altstadt von unten und bekommt plötzlich ein ganz neues Verständnis für Klassenstrukturen. Die Arbeiter*innen schienen dieses Verständnis ebenfalls gehabt zu haben. Vermutlich hat sich aus diesen Umständen und der Abneigung gegenüber der reichen Burger oben in der Stadt eine eigene Sprache entwickelt. Eine Sprache, welche es der armen Bevölkerung ermöglichte sich zu organsieren ohne Angst vor Konsequenzen durch die besitzende Klasse haben zu müssen. Die Liberalisierung unserer Gesellschaft ist aber heutzutage so weit fortgeschritten, dass es kaum noch Menschen gibt, welche fliessend Matte-Änglisch sprechen. Meine Grossmutter war möglicherweise eine der letzten Personen, die dieser Sprache mächtig waren. So ergeht es aber nicht nur dem Matte-Änglisch. Es gibt unzählige Sprachen auf der ganzen Erde, die vor dem Aussterben bedroht sind und teilweise nurnoch von einer handvoll Menschen gesprochen werden können. So viele Sprachen, dass es sogar einen eigenen Wikipedia Artikel dazu gibt. Mich stimmt das enorm traurig, denn wie bereits ausgeführt ist Sprache so viel mehr als bloss die Worte aus denen sie besteht. Sprache verbindet. Sprache sagt wahnsinnig viel über die Menschen aus, welche sie sprechen. In jeder Sprache gibt es unendlich viele kleine Details, welche den Kern einer jeder Kultur einfangen. Jede Sprache umfasst Wissen, welches mit dem Aussterben einer Sprache verloren geht. Umso wichtiger ist es, dass vom Aussterben bedrohte Sprachen beschützt und verwendet werden. Sei es durch assozialen Rap.
Zu guter letzt muss ich doch noch kurz den bereits leicht angeschnittenen Elefanten im Raum ansprechen. Das politische Engagement von Kneecap im Bezug aus Plästina. Warum muss das nun sein. Das ist doch nicht der richtige Ort dafür mag jemand nun sagen. Doch ist es. Nicht nur, weil es sich auch Kneecap nicht hat nehmen lassen, Palästina in ihrem Film unterzubringen, sehen wir doch in einer Szene eine riesige Palästina-Fahne an einer Hausfassade, während die Kamera erstaunlich lange auf dieser verharrt. Kneecap ist seit Israel mit seinem Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung begonnen hat, nicht müde geworden sich ganz klar mit Palästina zu solidarisieren. Für mich ist das eine naheliegende Schlussfolgerung. Wie ich zuvor bereits ausgeführt haben, wuchsen die Mitglieder von Kneecap in einem Land auf welches, so wie Palästina, unterdrückt worden ist oder es noch heute wird. Sie erlernten früh, dass Freiheit kein gottgegebnes Recht ist, sondern etwas ist wofür man einstehen und kämpfen muss. Eine Perspektive, welche für mich als weisse Schweizer*in unvorstellbar ist. Aber eben diese Perspektive, scheint es für Menschen naheliegender zu machen, sich mit anderen unterdrückten Gruppen bedingungslos zu solidarisieren. Menschen welche in Irland aufgewachsen sind und die IRA und ihren Aktivismus hautnah miterlebt haben, sind viel eher in der Lage, Angriffe, wie beispielsweise durch die Hamas, auf eine andere Art und Weise zu verstehen und diese dementsprechend auch anders einzuordnen. Diese nicht pauschal zu verurteilen. Zu verstehen, dass solche Attacken, nicht einfach so aus Lust und Laune entstehen sondern immer in einem historischen Kontext einzuordnen sind. Auf jede Aktion folgt eben eine Reaktion, auch wenn diese auf den ersten Blick extrem erscheinen mag. Es erstaunt mich also wenig, dass sich Kneecap in diesem Ausmaas mit dem palästinensischen Kampf solidarisiert. Und doch erfüllt es mich mit viel Freude. Oder besser gesagt, erfüllt es mich mich ganz viel Scham, dass es so viele bekannte Menschen gibt, welche nicht den Mut aufbringen können, den Angriffskrieg von Israel zu verurteilen. Sie entscheiden sich lieber dafür wegzuschauen. Sie entscheiden sich dafür sich an ihrem kleinen Garten zu erfreuen und alles was hinter der grossen Wand, welche ihren Garten umschliesst, passiert, gekonnt zu ignorieren. Nun ist es aber nicht so, dass sich Kneecap sich ihr solidarischen Handeln nichts kosten lassen oder dieses keine Konsequenzen hat. Im Gegenteil. Vor kurzem, hat die BBC den Auftritt von Kneecap am Glastonbury-Festival als einzigen Auftritt nicht im Livestream gezeigt. Gebracht hat es der BBC aber wenig bis nichts. Die folgenden Acts, haben sich mit Kneecap solidarisiert und gemeinsam mit dem Publikum immer und wieder pro-palästinensische Parolen skandiert, was dann sogar das BBC nicht mehr zu verhindern gewusst hat. Zudem hat diese Zensur einen kleinen Shitstorm im Internet ausgelöst. Es ist also irgendwie der Streissand-Effekt eingetretten, was einem aber nicht erstaunen sollte. Denn genau so wie es im Film gezeigt wird, lassen sich Menschen, welche für ihre Kultur und ihre Identität kämpfen, nicht stoppen, ganz egal wie gross die Steine sind, die ihnen in den Weg gelegt werden. Und sicherlich erst recht nicht, durch einen so erbärmlichen Versuch wie es das BBC unternommen hat. Oder um es in der Worten Kneecaps zu sagen: Féach é. Abair é. Cinsireacht déanta air.