The Surfer

written by malu winter

Gemeinsam mit unserem Surfer (gespielt von Nicholas Cage) betreten wir die Kulisse. Wir befinden uns in Luna Bay. Einem fiktiven Strandort irgendwo in Australien. Auch wenn ich selbst noch nie in Australien gewesen bin, stellt ich sich in mir direkt ein merkwürdiges Gefühl von Vertrautheit ein, denn genau so stelle ich mir einen australischen Strandort vor. Wie aus dem Bilderbuch also. Der Film im Gegensatz gibt sich alle Mühe, dass sich kein Gefühl von Vertrautheit einstellen kann. Daher wird auch die Geschichte, die der Film erzählen will, sowie der Kontext, in dem alles eingebettet ist, nur minimal umrissen. Der namenlose Surfer wuchs in einem Haus in Luna Bay auf, hat dieses zu einem uns unbekannten Zeitpunkt und aus uns unbekannten Gründen verloren. Sein Lebensziel ist es nun dieses Haus wieder zu kaufen, etwas vor dem er zu Beginn des Films ganz kurz zu stehen scheint. Doch wie es bei Mystery-Thrillern nur zu oft der Fall ist, kommt natürlich alles ganz anders als erwartet. Denn schon bei der ersten Begegnung mit den Ortsansässigen, als der Surfer gemeinsam mit seinem, ebenfalls namenlosen Sohn (Finn Little), an den Strand herunterwandert, droht die Situation zu eskalieren. Einer der Surfer rennt auf die beiden zu und teilt ihnen mit den Worten “Don’t live here. Don’t surf here” relativ aggressiv mit, dass sie hier weder erwünscht, geschweige denn geduldet sind. Nach einem kurzen Gespräch mit Scally (Julian McMahon) ziehen die beiden also unverdichteter Dinge wieder von dannen. Bis hier ist alles noch verhältnismässig durchschau- und begreifbar. Das folgende macht es uns zuschauenden dann doch etwas schwieriger.

Nachdem der Junge abgereist ist, sind wir nun also mit dem Surfer in Luna Bay gestrandet. Hier möchte ich noch herausstreichen, dass der Film keine Millisekunde daran verschwendet uns zu erklären oder zu zeigen, wie der Junge denn nun genau Luna Bay verlassen hat. Mit solchen Banalitäten mag der Film sich nämlich nicht herumschlagen. Was nun folgt ist ein Hitze-Fiebertraum der Extraklasse. Wir lernen den ortsbekannten Stadtstreicher (Nicholas Cassim) kennen, welcher uns während der gesamten Laufzeit lediglich als Mr. Fitzgerald vorgestellt wird, kennen. Wir erfahren, dass der Surfer sich aktuell in einer Scheidung von seiner Frau, welche gerade ein Kind mit Ihrem neuen Partner erwartet, befindet. Aber am interessantesten ist, wie wir den psychischen Verfall unserer Hauptfigur hautnah miterleben können. Wobei wir uns aber zwangsläufig immer wieder fragen müssen, ob der denn nun wirklich verrückt ist oder was zur Hölle eigentlich genau in Luna Bay vor sich geht. Denn es scheint so, als wäre dieser ganze Ort mitsamt aller seiner Bewohner*innen, Teil einer grossen Verschwörung gegen unseren Surfer. Sämtliche Personen, denen er begegnet verhalten sich ihm gegenüber passiv aggressiv bis offen feindselig. So verschwindet beispielsweise sein Surfbrett, ihm wird Kaffee ins Gesicht geschüttet, seine Schuhe mitsamt Jacke werden gestohlen, er wird vom Betreiber eines Kaffeestands abgezockt und übers Ohr gehauen und auch der Sheriff von Luna Bay ist alles andere als hilfreich bei der Klärung all dieser Ungereimtheiten

Der Film spielt ganz offenkundig mit dem Motiv des verrückt werdenden Protagonisten und dem Konzept des unreliabale Narrators. So wird beispielsweise sein Auto mit dem Schriftzug “kook”, was übersetzt so viel wie «verrückt» bedeutet, verschmiert. Vermutlich leitet sich dieser Begriff vom Kookaburra, auf Deutsch Jägerlieste oder umgangssprachlich aus Lachhans ab. Lachhans ist daher ein äussert treffender Name, hört sich sein “Gezwitscher” doch wie menschliches Gelächter an. Gemäss Erzählungen hat der Lachhans seinen Namen erhalten, weil Menschen sich zu lange in der brütenden Hitze Australiens aufgehalten haben, durch sein schallendes Gelächter allmählich den Verstand verloren haben. Möglicherweise genauso wie es während des Films mit unserem Surfer und zu einem gewissen Mass auch mit uns als Publikum geschieht. Schliesslich bekommen auch wir das Gelächter des Kookaburras mehrmals zu hören. Es gibt zudem mehrere Szenen, in denen zu sehen ist, wie unterschiedliche Personen unserer Surfer nahezu manisch auszulachen scheinen. Persönlich bin ich aber nicht vollständig von seiner Verrücktheit überzeugt. Dazu aber später noch ein wenig mehr. Zuvor möchte ich noch kurz ein wenig Lob für die Machart des Films aussprechen. Ich finde es immer wieder auf neue faszinierend, wenn Filme es schaffen, dass ich diese beinahe schon körperlich mitfühlen kann. Im Fall von “The Surfer” ist das Spürbare Element das Wetter. Genaugenommen die Hitze. Diese Hitze. Sie wurde mir schon beim blossen Zuschauen auf meinem Sofa in meinem angenehm gekühlten Wohnzimmer beinahe zu viel. Man kann förmlich spüren, wie einem die unentwegt herunterbrennende Sonne sämtliche Vernunft aus dem Kopf brennt. Ein sehr körperlicher Film. Aber auch der Einsatz der Musik ist für mich gelungen. Immer wieder erklingen mystische / esoterische Melodien, welche das ohnehin surreale Setting nur noch weiter perfekt unterstreichen. Die zuerst zufällig wirkenden eingestreuten Aufnahmen von Tieren in der Natur runden, dass dann noch ab. Alles in allem löste der Film in seiner Machart phasenweise starke Assoziationen zu Filmen von Wes Anderson aus.

Nun möchte ich noch ein paar lose Gedanken niederschreiben, mit der Vorwarnung, dass es sich hierbei eher um Gefühle und interpretatorische Theorien handelt. Wer es gerne strukturiert mag, sei hier gewarnt.

Der Film macht meiner Meinung nach ganz klar einen Kommentar auf die sogenannte Manosphere, toxische Männlichkeit, Vater-Sohn-Beziehungen und auf Männlichkeit im Allgemeinen. Nicht nur ist die Beziehung zwischen dem Surfer und seinem Sohn eine klassische, gefühlskalte wenn nicht sogar -lose Vater-Sohn-Beziehung, sondern auch der Surfer-Kult verwendet eindeutige Alpha/Sigma Rhetorik. Es wird davon erzählt, dass die heutigen Männer verweichlicht seien. Dass jeder Mann ein Tier in sich habe, welches bloss darauf warte ans Tageslicht zu treten, dass dieses Tier in der Öffentlichkeit aber gebändigt werden muss und Männer daher einen Ort brauchen, wo sie diesen Trieben nachgehen können. Es wird sich auf ein Ritual von Mönchen berufen, bei welchem neue Mitglieder zuerst sieben Tage und sieben Nächte auf sich allein gestellt sind, in der Natur überleben müssen, um wirkliches Leid zu erfahren. Eben solche Männercamps gibt es tatsächlich in der realen Welt und auch unser Surfer durchlebt zu einem gewissen Mass genau dieses Schicksal. Denn nur wer zuerst gelitten hat ist es wert am Luna Bay surfen zu dürfen. Nun kann man sich fragen, inwiefern diese Auseinandersetzung mit diesen Themen kritisch sein kann, wo doch der der Film damit endet, dass der Surfer wie auch sein Sohn, Teil dieser geschlossenen Gesellschaft werden. Aber unterstreicht eben dieses Ende die Kritik an solchen Strukturen noch viel stärker, als wenn er sich dem hätte verwehren können. Der Surfer hat, wie viele Männer, unter anderem sein Sohn, aufgrund seines Vaters und der gesellschaftlichen Norm, was und wie ein Mann zu sein, hat keine Chance sich dem zu entwinden. Er hat keine andere Coping Strategie erlernt mit all den unterdrückten Emotionen umgehen zu können ausser Oberkröperfrei in einem Kreis zu sitzen, “surfer, suffer, surfer, suffer” zu skandieren, während gerade ein anderer Mann eine Welle auf seinen Rücken gebrandet bekommt.

Ein Aspekt auf welchen ich noch gar nicht eingegangen bin, sind die Rückblenden. Immer wieder sehen wir Flashbacks zu einem Kind am Strand. Zu einer toten Person, welche an den Strand gespült wurde. Der Film deutet hier eine verschachtelte Erzählstruktur an, welche uns eine gänzlich neue Sichtweise anbietet. Eine die sich einfach unter einem doppelten Boden vor uns versteckt. Diese wird durch unterschiedliche Einstellungen angedeutet. Beispielsweise in der Szene, in welcher der Surfer in einen Spiegel blickt, eine Grimasse schneidet und für einen Bruchteil einer Sekunde der Stadtstreicher anstelle unseres Surfers im Bild zu sehen ist. Kommt noch dazu, dass der Surfer sich im Laufe des Films immer mehr in den Stadtstreicher zu verwandeln scheint und der Stadtstreicher, genauso wie auch der Sohn, für eine lange Zeit wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Eine “korrekte” Interpretation bin ich an dieser Stelle nicht in der Lage zu liefern, gerne teile ich aber meine Gedanken. Vermutlich sind der Junge sowie der Stadtstreicher allesamt ein und dieselbe Person. Der Surfer.  Bloss zu unterschiedlichen Zeitpunkten in seinem Leben. In den Szenen, in welchen der Surfer und sein Sohn vorkommen, ist der Surfer in Wahrheit der verstorbene Vater des Surfers und der Junge in Wahrheit der Surfer selbst. Der Film erzählt uns nämlich, dass der Sohn des Stadtstreichers ebenfalls Teil des Surfer-Kults war und umgekommen ist. Der Stadtstreicher hingegen ist vermutlich der verstorbene Vater, welcher den Tod seines Sohns, den er möglicherweise zu einem gewissen Mass mitzuverantworten hat, nicht ertragen kann, verrückt wird und sich daher das Leben nimmt. Sehen wir doch am Ende des Films, wie der Junge gemeinsam mit seinem Vater und den anderen Surfer an den Strand geht und Teil dieses Kults wird. Vielleicht ist das eben dieser Moment, welchen sich der Vater des verstorbenen Sohns den Rest seines Lebens vorwerfen wird.  Somit sind die drei Figuren, welche wie bereits mehrfach erwähnt allesamt keinen Namen haben, irgendwie alle die gleiche Figur. Ob sie die gleiche Figur während unterschiedlichen Zeitepochen sind oder sie viel eher verschiedene Möglichkeiten wie das Leben dieser Person hätte verlaufen können, darstellen sollen, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht sollten wir all das auch gar nicht so wortwörtlich verstehen, denn zugegebenermassen gibt es bei dieser Theorie hier und da ein paar kleine Logiklücken, aber auf einer ideologischen Ebene sind sie dann doch allesamt die gleiche Person. Männer mit unterdrückten Emotionen, welche nicht nur nicht in der Lage sind ihr generationelles Trauma zu überkommen, sondern dieses immer und immer wieder an ihre Söhne weitergeben.